›urian‹ in: Deutsches Wörterbuch (¹DWB) (2024)

eigenname und appellativum. herr Urian erscheint bei Christian Rose (1648) in der schriftsprache, das appellativum etwa um die gleiche zeit bei Lauremberg (s. u. 3). da u. den oberdeutschen mundarten wie dem nl. und dem mnd. gänzlich fehlt, musz das wort doch wohl aus der schriftspr., aus der es auch Schupp, Grimmelshausen, Stranitzky, Bräker, Göthe kennen, in die mundarten (nd., obers., schles., rhein., nass., fränk.) gekommen sein. aus dem nd. ist es ins dän. gedrungen. der gebrauch des wortes ist bes. gegen ende des 18. jhs. häufig (Serz idiotismen 164ᵃ), und zwar nicht nur, wie Adelung sagt, in den gemeinen sprecharten; dann wird schriftsprachlicher gebrauch seltener. erfolglose erklärungsversuche haben sich auf bed. 4 beschränkt. J. H. Vosz glaubte (anm. zu knecht Robert, sämtl. ged. 4, 317) in -ian den namen Johannes zu finden und erklärte mit unmöglicher beziehung auf ¹ur u. als einen kerl in roher wildheit, einen wildemann. Jac. Grimm (mythologie 3⁴, 293) sah in u. den urhans als bezeichnung des teufels; W. Wackernagel (kl. schr. 3, 142) und Lucae (preusz. jahrb. 31, 534 mit schiefer anführung von uralt und urgemütlich) erläutern u. als 'haupthans'. beides scheitert daran, dasz in Hans kein begriff vorhanden ist, der sich mit ur- steigern liesze. andere deutungen sollen hier übergangen werden. schon Adelung schlug vor, u. als personennamen zu fassen, worauf ja auch die verbindungen herr, musche, squire, meister, Hans U. weisen, und hielt anekdotische entstehung für möglich. der seltene taufname U. (Fischer 6, 297), auf den 'obskuren' (Nied heiligenverehrung und namengebung 84) h. Urianus zurückgehend, war geeignet, einen quidam zu bezeichnen, aus dessen abgewerteter bed. sich die weitere begriffsentwicklung ergibt. einen acc. Urianan bildet schles. ma. (Rother schles. sprichw. 107ᵇ). durch kreuzung mit urach (s. d.) ergibt sich urak = urian (Weise mundarten 104); vgl. obers. uuricaan Müller - Fraureuth 2, 602ᵇ. pflanzennamen wie bixa orellana, Stephanulrich (aus Urucu) schlagen in u. um (Holl 270ᵃ; Pritzel-Jessen 60). auerhahn der Faustsage ist der volksetymologisch umgedeutete Urian (Pniower in Zedlers Göthehb. 3, 461). den formen Urjan, Urjahn, Uhrjahn, Urgan, Uhrgan kommt nur lautliche oder orthographische bedeutung zu. plur.: ihre herren Urianen mägdelob 60; einen dieser uriane Bräker 1, 206.

1)

U. als heiligen-, tauf- und familienname. 'S. Urianus ist unbekannt; er gab seinen namen einer pfarrkirche des bistums Evreux' Stadler heiligenlex. 5, 612. Nied heiligenverehrung u. namengebung 84 bezeichnet ihn als den obskuren St. Urian; doch ist U. als seltener taufname im schwäb. nachgewiesen (Fischer 6, 297). vornehmere leute gaben ihren kindern freilich solche namen nicht; im 14. jh. kommt er für einen servus vor. puella sagt zur gattin des Pilatus:

vrauwe, ist ez uwer wille,

so rufen ich her vil stille

uwern knehte Urian,

vil wol er daz gesagen kann

St. Galler passion bei Mone schausp. d. ma. 1, 115, 1012;

puella ad nuncium:

Urjan, gudes kneppelin,

lauf balde zuͦ dem herren din!

ebda 1020.

Urianus ein britannischer könig Zedler 51/52, 7; Lappenberg zu Lauremberg 1, 237; Lloyd history of Wales 1, 165.

2)

aus dem seltsamen namen, bes. wenn er im spott gebraucht wurde, der sich im volksmunde an solche namen zu heften pflegt, ist U. zur bezeichnung eines quidam geworden, ausdruck qualitativer unbestimmtheit; so bezeichnet U. einen menschen, den man nicht zu nennen braucht, nicht nennen will, kann, darf, dessen name und nähere verhältnisse nicht angegeben werden, oft nur ein er, ein bewuszter (W. Wackernagel kl. schr. 3, 142), ein patron, kerl u. dgl., hauptsächlich von untergeordneten leuten gebraucht; liegt doch auch in der neuern entwicklung des quidam in den roman. sprachen (z. b. im franz., wonach Göthe: ein quidam sagt: ich bin von keiner schule) ein starker zug der abwerthung. mit vorgesetztem herr, musge, musche, squire wird dann in familiär gutmütigem scherze die abwerthung wieder aufgebessert. 'U., ein in den gemeinen sprecharten als ein eigenthümlicher nahme übliches wort, welches man mit dem ehrenworte herr als eine art scherzhaften schimpfwortes von einem manne braucht, vor welchem man wenig achtung an den tag legen will, bes. wenn man seiner in einem falle gedenkt, wo man ihn nicht erwartete' Adelung; Kindleben studentenlex. 202. U. ist, seinem schriftsprachlichen ursprung entsprechend, gewählter als Matz (s. d. 1), das ähnliche entwicklung aufweist; vgl. Hans 1 c. die vorgeschichte dieses gebrauchs bleibt noch zu untersuchen. der erste hier zu gebote stehende beleg ist von Christian Rose, der in seinem drama Holofern (1648) herr Urian als des königes Nebucadnezar kurzweiligen rath einführt (25, abbildung der personen), soldatisch, jedoch possirlich angethan (25), der possen und gaukelspiel treibt (42; 166) und insbesondre in den zwischenspielen für grobe komik zu sorgen hat (97; 159; 198); er gibt sich aus als ein angenommener capitein unter dem regimente des obersten Vitzlibutzabi (97). nach der mitte des 17. jhs. wird herr U. gewöhnlich: ich dachte alsobald an meinen herrn U. (einen vorher erwähnten) Schupp bei W. Wackernagel kl. schr. 3, 143; so haben ein theil weiber ohne das nicht gern, wann herr U. lang über den büchern oder andern geschäften sitzt Grimmelshausen ebda; führten den herrn U. in diebsturn vogelnest 2, 95 Tittmann; als ein baum wenig äpfel trug und der bauer darauf stieg solche abzuschütteln, sagt er im zorn: 'wiltu nicht äpfel tragen, so trage schelm und diebe', und mein herr U. war selbst darauf wendunmuth oder erneuerter fünffacher Hans Guckindiewelt oder merks Matths 15; nit so grob, herr U.! sagte ich hierauf franz. Simpliciss. (1683) 2, 252. der (verkleidete) liebhaber: der engel Uriel hätte schier gesagt: ihr liebhabender herr Urjan Grimmelshausen vogelnest 4, 613 Keller; polit. freyersmann (1686) 179; sie (d. mägde) werden bezüchtigt, dasz sie ihre hn. Urianen unter der predigt auf die sonntäge bestellen mägdelob (1688) 60. J. G. Gressel Musophili vergnügter poet. zeitvertreib (1718) 188; Sylvanus das verwöhnte muttersöhngen (1728) 195; obers. wb. 2, 602ᵇ; ein herr Urjahn kam herein, mich sah die kröte J. T. Hermes bei Babucke nd. korrespondenzbl. 15, 72; vgl.'Urjaon scherzhaftes schimpfwort, um zu bezeichnen, dasz man einem nicht trauet' Danneil 233ᵇ; die würden den mosge Uhrgan nach der schwierigkeit auf den beutel geklopft haben K. F. W. Hertzberg Till Eulenspiegel (1774) 1, 181; Urians reise um die welt von M. Claudius (1786) mit dem refrain:

verzähl er doch (nicht) weiter, herr Urian!

da sasz der herr U. und muszte so lange schwitzen, als er es ausdauern konnte J. Chr. Fr. Dietz lebensbeschr. 90; von squire U. bis zu Hans Hagel herab J. H. Vosz briefe 1 (1829) 305 A. Vosz; als wir uns am besten über ihn lustig machten, trat herr U. herein; jetzt erblickte ich den herrn U., den ich suchte; mein U. ist noch nicht da Adelung; was will denn der herr U. hier?; man machte mit dem herrn U. wenig umstände Campe; monsieur, musch U. Fr. Reuter lex. 148 Müller. 'wer sich eines vergehens schuldig geben musz', dar stund herr U. Dähnert 512.

3)

als appellativum bezeichnet u. den einfachen, schlichten mann und abgewerthet den schlechten, bösen, wilden, groben, unzuverlässigen, spitzbübischen, naseweisen, dummen:

woll simpel bey der rede wil krupen,

de krigt wedr tho freten noch tho supen,

he werd nicht vele prospereren,

in keinem ansehn seyn by groten heren,

van em werd men dat ordeel fellen,

dat isz einer van den slichten gesellen ...,

uth sinen oldfrenkisken kledern kan man verstahn,

dat idt werd syn ein slicht uriaen (als fremdwort mit sog. lat. buchstaben ausgezeichnet)

Lauremberg scherzged. 4, 1146 Schr.;

hier machte mein u. vor entzücken ordentliche purzelsprünge Bräker (1789 ff.) 1, 162; mei u. 'das in frage stehende subjekt' Müller-Fraureuth 2, 602ᵇ (vgl. 2); einst sprach ich einen dieser uriane (es sind falsche freunde gemeint) um ein halb dutzend dublonen auf einen monat an Bräker 1, 206; halt, dacht ich in meinem sinn, den u. wirst du doch ertappen E. Th. A. Hoffmann 10, 331 Gr.; 'urjan hört man zuweilen statt naseweis' Hupel id. d. d. spr. in Lief- u. Ehstland (1795) 246; 'u. böser mensch'; ik were mir den u. schon langen Brendicke Berlin 187ᵇ; mit so en uriahne infamigten will ich mich nich rumbatalchen G. Schumann Bliemchen in London (1888)⁸ 28 (vgl. oben urak, uuricaan); mei u.! bei drohung, bestrafung obers. wb. 2, 602ᵇ; der u. muszte bei einem taschenspieler durch die schule gegangen sein Langbein 30, 96; es ist ein u. Wander 4, 1496; 'im fränk. lande, am Rhein und an der Lahn ist der u. ein gottloser und raffinirter mensch' K. Braun ebda; Pansner schimpfwb. 74ᵇ.

4)

Urian, u., wie dieser und der, dieser und jener (Schulz in d. zschr. f. d. wortf. 10, 160 ff.), als euphemistische bezeichnung des teufels. vgl. Hans 2 und oben 2:

für meinen part, mit groszen herrn

und meister Urian

äsz ich wohl keine kirschen gern

Bürger 24ᵃ B.;

schon wetzte meister Urian

auf diesen braten seinen zahn

24ᵇ;

ein paktum mit dem u. machen J. G. Müller Siegfried v. Lindenberg (1779) 344 (d. nationallit. 57); sich vom u. den sack füllen lassen kom. romane 1² (1786) 376;

dann flieg ich im lauf

wie Urians wilde jagd

J. H. Vosz sämtl. ged. 4, 202;

durch blenderleuchtung der scheinvernunft

legt Urian höllische that an

6, 57; vgl. 2, 152; 156;

die hexen zu dem Brocken ziehn ...,

dort sammelt sich der grosze hauf,

herr Urian sitzt oben auf

Göthe Faust 3959;

K. G. Prätzel feldherrnränke 5; Grabbe 1, 438 Bl.;

denn mit dem glockenschlag begann

ein poltern und gesause,

als nähme meister Urian

besitz vom ganzen hause

Langbein 6, 196;

G. Schilling 37, 164; obers. wb. 2, 602ᵇ; Danneil 233; musch Urian, musch düvel Wossidlo nd. korrespondenzbl. 15, 27, 44; monsieur, musch U. C. F. Müller Fr. Reuterlex. 148ᵃ.

5)

mit dem gleichen euphemismus wird auch der tod bei Langbein ged. (1841) 2, 148 herr U. genannt.

6)

ebenso das männliche glied: desz königs in Persien diener schändete ein mägdlein. der könig gab ordre, man solt dem diener das haupt abschlagen. der diener aber schnitte seinen herr U. selber ab, präsentirte denselben dem könig, sagte: der, und nicht der kopf hätte gesündiget J. Peter de Memel lustige gesellschaft (1656) 134.

7)

übertragen auf thiere: schwein, rehbock, dachs Sanders erg. wb. 586ᶜ, den hund Kosegartens Kosegarten rhaps. 2 (1794) 350 anm., den uhu:

denn die dummen krächzer (krähen) meinen,

weil kein jäger will erscheinen,

hab das leid hier angethan

unten (vor der krähenhütte) der Hans Urian

W. Bornemann humor. jagdged. (1835) 48.

8)

wie oben erwähnt, der gemeine orleanbaum, bixa orellana L., achiolt, anotta ... stephanulrich, urian Holl wb. d. d. pflanzenn. (1833) 270ᵃ; Pritzel-Jessen 60ᵃ.

9)

als bezeichnung für den gebrannten alaun, alumen ustum, das ätzmittel; vielleicht mit beziehung auf bed. 4: Müller-Fraureuth 2, 602ᵇ.

10)

wenn endlich als schles. redensart für trinken angegeben wird U. anrufen (a hod Urianan agerufft Rother schles. sprichw. 107ᵇ), so kann lautnachahmung des glucksenden tones beim trinken vorliegen, ähnlich wie Hans Ulrich rufen (th. 4, 2, 461) den würgenden laut beim erbrechen wiedergibt; schwäb. dem Uriorum rufen, der h. Uriorum, dieses weiterbildung der kurzform Ure, die für Ulrich und Urian gilt (Fischer schwäb. wb. 6, 297).

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